Das Ermittlungsverfahren
Bereits im Ermittlungsverfahren werden die Weichen für das weitere (Straf-)Verfahren gestellt. Kommt es überhaupt zu einer Anklage und einer Hauptverhandlung oder kann das Verfahren bereits im Ermittlungsverfahren eingestellt werden? Kann durch einen Strafbefehl eine öffentlichkeitswirksame Hauptverhandlung vermieden werden? Fehler in dieser Frühphase des Verfahrens können häufig nicht mehr gutgemacht werden.
Einleitung des Ermittlungsverfahrens
Das Ermittlungsverfahren muss eingeleitet werden (Legalitätsprinzip) wenn die Voraussetzungen des § 152 StPO vorliegen, also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Straftat begangen wurde (sog. Anfangsverdacht). Der Anfangsverdacht muss nicht den Grad des dringenden oder hinreichenden Tatverdachts erreichen.
In der Praxis erlebt man, dass der Anfangsverdacht häufig grenzenlos angenommen wird. Die Rspr. will hierfür schon genügen lassen, dass zumindest Indizien vorhanden sind, die nach kriminalistischer Erfahrung eine Straftat als möglich erscheinen lassen.
Zur Klärung, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens veranlasst ist, sind Vorermittlungen zulässig. Dieser „Schwebezustand“ wird gerne ausgenutzt, um den sog. „verdächtigen Zeugen“ ohne den Schutz der Beschuldigtenrechte vernehmen zu können. Ohne Begleitung eines kompetenten Zeugenbeistandes wird er seine Rechte nicht durchsetzen können, wahrscheinlich gar nicht kennen.
Ziel des Ermittlungsverfahrens ist die Aufklärung des Sachverhalts zur Vorbereitung der Entscheidung, ob Klage erhoben werden soll (§ 160 Abs. 1 StPO). Dabei haben die Ermittlungsbehörden sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO). Deswegen lässt sich die Staatsanwaltschaft gerne als „objektivste Behörde der Welt“ bezeichnen, was mit der Wahrnehmung der Betroffenen und der Verteidiger nicht immer konform geht.
Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“
Zuständige Behörde ist nach § 152 StPO die Staatsanwaltschaft; sie ist „Herrin des Ermittlungsverfahrens“. Gesetzestheoretisch führt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen persönlich, kann sich hierbei aber Ermittlungspersonen und Polizeibeamter bedienen (RiStBV Nr. 3).
Tatsächlich muss man immer wieder feststellen, dass die Polizei, vor allem aber der Zoll, Ermittlungen autark führt und entgegen § 163 Abs. 2 StPO die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft erst mit dem Schlussbericht übersendet. Ob die damit einhergehende Verzögerung der Akteneinsicht des Verteidigers nur hingenommen oder gar bezweckt wird, sei dahin gestellt.
Der Verteidiger im Ermittlungsverfahren
Der aktiven Verteidigung im Ermittlungsverfahren kommt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Hier können frühzeitig Weichen für das weitere Verfahren gestellt werden. Es können aber auch Fehler passieren, die nicht mehr zu korrigieren sind.
Der Verteidiger muss sich schützend vor seinen Mandanten stellen, Ermittlungsmaßnahmen prüfen und lenken, unverhältnismäßige Eingriffe verhindern und den Informationsstrom kontrollieren.
Primäres Ziel der Verteidigung wird in der Regel eine Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung, idealerweise eine Einstellung, sein. Das wird eine Verteidigung, die sich nur in der Rolle einer „wohlwollenden Prozessbeobachtung“ sieht, nicht erreichen können.
Unter Abschätzung der Beweissituation muss die Verteidigung in geeigneten Fällen der Staatsanwaltschaft die für eine Einstellung notwendigen Informationen liefern, sei es tatsächlicher oder rechtlicher Natur.
Nicht selten wird der Verteidiger die rechtlichen Untiefen herausarbeiten, für die der Staatsanwalt in seinen Ermittlungen keine Zeit gefunden hat.
In anderen Fällen, mischt sich der Verteidiger bei der Auswahl und Beauftragung eines geeigneten Sachverständigen ein.
Abschluss des Ermittlungsverfahrens
Ist die Sachaufklärung abgeschlossen, fertigt die Ermittlungsbehörde (z.B. Polizei oder Zoll etc.) einen Schlussbericht und sendet diesen an die Staatsanwaltschaft. Dort wird entschieden, ob das Verfahren eingestellt wird oder ob öffentliche Klage erhoben wird. Der Abschluss des Verfahrens ist durch Abschlussvermerk/Abschlussverfügung in der Ermittlungsakte zu dokumentieren (RiStBV Nr. 109).
Die Erhebung der der öffentlichen Klage setzt einen hinreichenden Tatverdacht i. S. d. § 203 StPO voraus und das Fehlen von Verfahrenshindernissen. Der hinreichende Tatverdacht liegt vor, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund einer eigenen Prognose zu dem Ergebnis kommt, dass nach durchgeführter Hauptverhandlung eine Verurteilung wahrscheinlicher ist, als ein Freispruch. Ob die Staatsanwaltschaft bei dieser Beurteilung an höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden ist, ist höchst umstritten. Die wohl h. M. kommt dabei zu einem vorhersehbaren Ergebnis. Zu Lasten des Beschuldigten darf die Staatsanwaltschaft die höchstrichterliche Rechtsprechung außer Acht lassen, zu Gunsten jedoch nicht.
Zu den verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten und dem Strafbefehlsverfahren wird auf unten „Verfahrensbeendigung ohne Hauptverhandlung“ verwiesen. Dies wird mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung begründet. Warum der Grundsatz aber nur zu Lasten des Beschuldigten gelten soll, bleibt offen.
Die öffentliche Klage kann durch Anklageschrift oder Strafbefehl erhoben werden. Der Anzeigeerstatter kann in geeigneten Fällen auch auf den Privatklageweg verwiesen werden.