Das OLG Karlsruhe nimmt in seinem Beschluss vom 29.08.2013 (3 Ws 293/13 = StV 2014, 401) den Ball des BVerfG auf:
Die Strafverfolgungsorgane nehmen es mit den Dokumentationspflichten oft nicht sehr genau. Typischer Streitpunkt sind z.B. in der Hauptverhandlung Fragen zur Belehrung:
- Ist überhaupt belehrt worden?
- Wann ist belehrt worden?
- War die Belehrung richtig?
Klassisch behauptet der Angeklagte, nicht belehrt worden zu sein; der Polizist versichert, er belehre immer. Das Gericht freut sich, weil die Belehrungsverstöße nicht nachgewiesen werden konnten und verhandelt zufrieden weiter. Wer will sich schon mit Beweisverwertungsverboten herumärgern.
So nicht – Begründung des OLG Karlsruhe:
„Die verbleibenden Zweifel – weitere Möglichkeiten der Sachaufklärung stehen dem Senat nicht zu Gebote – können vorliegend nicht zu Lasten des Angekl. gehen. Zwar gehen im Freibeweisverfahren nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zu Lasten des Angekl. (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 261 Rn. 35). Doch findet das vom Angekl. zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts dort seine Grenze, wo die Ursache hierfür in einem Verstoß des Gerichts gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht liegt (vgl. BVerfG NJW 2012, 1136 [BVerfG 05.03.2012 – 2 BvR 1464/11] [=StV 2012, 385]), wie dies vorliegend durch die Nichtbeachtung der Beurkundungsförmlichkeiten des § 273 Abs. 3 StPO der Fall war. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 StPO dient nämlich gerade der Vermeidung solcher – hier nicht auszuschließender – Missverständnisse.“
Bayerische Behörden verhindern Dokumentation
Die bayerische Strafverfolgungsbehörde haben aber schon vorgesorgt. In den amtlichen Vernehmungsvordrucken ist bereits angekreuzt, dass die Belehrung vor der Vernehmung erfolgte, so dass es nicht mehr darauf ankommen soll, ob tatsächlich belehrt wurde. Ich bezweifle aber, dass dies eine Dokumentation ist, zumal der Wortlaut der Belehrung nicht abgedruckt ist.
BVerfG zur Beweislast bei Verfahrenstatsachen und Dokumentationsverstößen
Sehr zu empfehlen ist hierzu der Aufsatz von Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper in StRR 2012, 164
„Form, Dokumentation und Beweisrecht – Revolution des Freibeweisverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht?“
In der Justiz wird oft übersehen, dass nicht der lügende Zeuge das Hauptproblem der Beweisaufnahme ist, sondern der irrende. Ich werde hier noch paar Videos zur Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen einstellen.
Wissenschaftlich ist nachgewiesen, dass es keine Erinnerung an Routinevorgänge gibt. Die Belehrung (sollte) so ein Routinevorgang sein.
@ Siebers
Ich habe aber selbst bei Zeugenvernehmungen bei der Polizei erlebt, wie die Belehrung am Ende, also wenn das Protokoll zur Unterschrift vorgelegt wird erfolgt.
Bei einer Verkehrskontrolle mit dem Fahrrad habe ich erfahren, dass die Belehrung zumindest nicht immer erfolgt.
Wer gibt solche Versäumnisse schon gerne zu. Auch der Polizist will dem Richter gefallen und weiß, wie wichtig diesem die Belehrung ist, oder zumindest die behauptete Belehrung.
@RiAG M Der Polizeibeamte könnte lügen, weil auch er ein Mensch ist; und keiner ist von einer Lüge frei. Weg vom Biblischen: Er lügt, weil er nicht zugeben will, dass er einen Fehler gemacht hat. Er lügt, weil er überzeugt ist, dass „es der Angeklagte war“, und er, der Polizist, nicht ertragen kann, dass der Angeklagte „davonkommt“. Oder …
Sie haben offensichtlich übersehen, dass der Richter nach wie vor frei ist, dem Polizisten zu glauben. Warum sollte der auch Lügen?
Ergo: Kein Zweifel und keine Beweislastumkehr